Aus der Bergischen Morgenpost vom 16.03.2018 (v
Vom 93-jährigen Radevormwalder Hans Dürhager erfuhren die Schüler des Geschichts-Leistungskurses am Theodor-Heuss-Gymnasium gestern ein Stück lebendige Geschichte. Die Jugendlichen waren sichtlich fasziniert und berührt.
Die 20 Schüler des Geschichts-Leistungskurses der Q2 am Theodor-Heuss-Gymnasium sind aufmerksam bei der Sache und hören dem alten Mann in ihrer Mitte genau zu. Der Rader Hans Dürhager ist 93 Jahre alt und erzählt davon, wie er als Kind und Jugendlicher die Zeit des Nationalsozialismus erlebt hat. „Als bei uns in der Straße die Naziflagge wehte, war uns klar, dass die jetzt das Sagen haben“, sagt er nüchtern. Damals sei er acht Jahre alt gewesen.
Das Zeitzeugengespräch hat Lehrerin Linda Sonnborn organisiert. „Ich hatte selbst als Schülerin das Glück, einmal einen Zeitzeugen zu erleben. Das wollte ich meinen Schülern auch ermöglichen“, sagt die Geschichtslehrerin. Der Kontakt zu Dürhager sei durch einen Kollegen zustande gekommen. „Herr Dürhager war auch sofort bereit, uns zu besuchen. Wir haben im Januar ein sehr ausgiebiges Telefonat geführt“, sagt Sonnborn.
Und auch die Schüler hatten bereits den Wunsch nach einer solchen Veranstaltung gehegt. „Wir haben uns ja im Geschichtsunterricht sehr ausgiebig mit dem Thema Nationalsozialismus beschäftigt. Der Wunsch, einmal einen Zeitzeugen erleben zu können, war bei uns allen da“, sagt die 17-jährige Rebekka Anke. Da die Zeitzeugen naturgemäß immer älter werden und über kurz oder lang sterben, seien sie auch die letzte Generation, der solche Gespräche noch möglich seien, ergänzt Mitschüler Merlin Dörner. Der 18-Jährige findet es toll, dass Dürhager gekommen ist. „Das ist wichtig, weil es lebendige Geschichte ist. Ich denke, dass wir dadurch einen ganz anderen Bezug zu der Thematik bekommen.“
Dürhager selbst hat keinerlei Scheu, vor seinem jugendlichen Publikum zu sprechen. „Ich muss wohl gute Gene haben, dass ich heute noch zu euch kommen kann“, sagt der rüstige 93-Jährige und schmunzelt. Aber schließlich sei er seit seiner Schulzeit im RTV aktiv. „Noch heute gehe ich regelmäßig zum Seniorenturnen“, sagt er. Dann kommt er wieder zum Thema: „Aber ich will euch ja ein bisschen davon erzählen, wie ich den Nationalsozialismus erlebt habe“, sagt er. Um einen Eindruck zu verschaffen, hat er einiges an Material mitgebracht. „Hier sind Ehrenurkunden, die ich für Leichtathletik bekommen habe“, sagt er. Groß prangt obendrauf das Hakenkreuz. Sport sei damals wichtig gewesen. „Wenn wir mitmachten und gute Leistungen brachten, hatten wir die Chance auf eine Lehrstelle“, sagt er. Selbst konnte er eine Schreinerlehre absolvieren. Dabei habe er ungünstige Voraussetzungen mitgebracht. „Mein Vater war politisch links eingestellt. Damit war er natürlich ein politischer Gegner der Nazis.“ Das brachte ihm mehrere Monate KZ-Haft im Konzentrationslager Kemna in Wuppertal ein. „Als er zurückkam, war mein einst so stattlicher Vater nur noch ein Schatten seiner selbst“, sagt Dürhager. Viel geredet habe der Vater nicht über seine Haftzeit. Aber einmal habe er der Familie die Stellen gezeigt, an denen er von den Wärtern verprügelt wurde. Nachteile hätte der Sohn dadurch in der Schule aber keine gehabt. „Die Lehrer beugten sich dem System, ließen es mich aber nicht spüren“, sagt er.
Mit 17 sei er zu Wehrmacht eingezogen worden – sein Ziel werde Stalingrad sein, habe es geheißen: „Dort wurde die 6. Armee verheizt, da wusste ich, was mir blüht“, sagt der 93-Jährige. Als er nach der Ausbildung an die Front sollte, habe die 6. Armee bereits kapituliert: „Also musste ich nach Oslo – dort bin ich dann in russische Kriegsgefangenschaft gekommen“, erzählt Dürhager. Die Geschichten fesseln die jungen Erwachsenen, das ist deutlich zu merken. Und insofern ist der Besuch Dürhagers die ideale Einstimmung auf die Studienfahrt nach Weimar. Dort werden die Gymnasiasten dann auch die Gedenkstätte Buchenwald besuchen.