Aus dem Online-Angebot der Bergischen Morgenpost vom 05.03.2020
Von Flora Treiber
Die Stadt auf der Höhe ist das Zuhause von Hans-Joachim Harnischmacher. Er ist 1928 geboren und hat alle Stadien des zweiten Weltkrieges als Jugendlicher und junger Mann miterlebt. Als Zeitzeuge ist er immer wieder an weiterführenden Schulen unterwegs und gestern besuchte er das Theodor-Heuss-Gymnasium. Lehrerin Linda Sonnborn hatte zwei ihrer Geschichtskurse zusammengetrommelt, damit die Schüler mit Hans-Joachim Harnischmacher ins Gespräch kommen und seinen Erfahrungen lauschen können. Mit 92 Jahren ist der Radevormwalder gut zu Fuß und versprüht Lebenslust- und Erfahrung. Seine Schulstunde als Zeitzeuge begann mit dem Eintreten in die Aula, in der die Schüler in einem großen Stuhlkreis saßen.
Hans-Joachim Harnischmacher wanderte durch die Mitte, erzählte sofort drauf los und ermutigte die Jugendlichen immer wieder zum Nachfragen. In den ersten Minuten machte er den Gymnasiasten klar, dass er offen über das Erlebte spricht, nichts verheimlicht oder versucht schönzureden, was passiert ist. „Ich spreche heute mit euch, als wäre ich wieder 16 oder 17 Jahre alt. Damals wusste ich nicht das über den Krieg, was ich im Nachhinein über Fernsehen und die Zeitung erfahren habe. Ich war mitten drin und das Wissen über den Krieg ein anderes, als heute.“
Als die Nationalsozialisten 1933 die Macht ergriffen, veränderte sich auch das Leben in Radevormwald. Zunächst schien alles besser zu werden. „Auf einmal hatten alle Menschen Arbeit, jeder hatte eine Aufgabe.“ Viel Menschen hätten Hitler geschätzt und diejenigen, die keine Mitglieder der NSDAP waren, wurden klein gehalten. Hans-Joachim Harnischmacher beschreibt den Arbeitsdienst als Vorstufe des Militärs. Als im September 1939 der zweite Weltkrieg begann, war die Euphorie unter den „jungen Burschen“ groß. „Wir waren bereit zu kämpfen“, erzählt Harnischmacher. Damals war er elf Jahre alt.
Das Ausland spielte in Radevormwald zu dieser Zeit keine Rolle mehr. „Es ist nichts zu uns durchgedrungen, in Radevormwald gab es keinen Widerstand, er war zumindest kaum spürbar. Die Gegner der NSDAP haben den Mund gehalten“, beantwortete der Zeitzeuge die Nachfrage eines Schülers. Die ältere Generation, die noch vom ersten Weltkrieg traumatisiert war, habe jedoch den Kriegsbeginn anders eingeschätzt. „Sie wussten, dass Krieg Tod bedeutet“, berichtete Harnischmacher. Er wurde in Hagen, im Münsterland und auf der rechtsrheinischen Seiten als Soldat eingesetzt.
Die Schüler interessierten sich für die schlimmsten Erlebnisse, die er während des Krieges durchlebt hat. „Wenn ein Freund, den du heute noch gesehen hast, verbrannt oder zerfetzt ist, das ist schlimm. Oder die Schreie der Soldaten, das lässt dich nie wieder los.“ Die Schüler hörten diesen schmerzhaften Erinnerungen aufmerksam zu. „Schlimm war aber auch der große Hunger nach dem Krieg. Wir haben einen streunenden Hund gegessen, weil wir es nicht mehr ausgehalten haben.“
Hans-Joachim Harnischmacher hat sich sein Leben lang damit beschäftigt, was er als Jugendlicher erlebt hat und damit, wie er zum Instrument gemacht wurde. „Es ist nicht wieder gut zu machen, was im zweiten Weltkrieg passiert ist. Wir haben erst am Ende des Krieges realisiert, wie groß das Leid war und was passiert ist.“ Für die Schüler von Linda Sonnborn war die Schulstunde mit Hans-Joachim Harnischmacher eine neue und sehr interessante Erfahrung. Alle Schüler hörten seinen Erzählungen aufmerksam zu und können jetzt besser verstehen, wie der zweite Weltkrieg von damals jungen und deutsche Männer wahrgenommen wurde.

Foto: Jürgen Moll