Deutsche Bücher deutschsprachiger Autoren kamen zum Vorschein, gedruckt in der zweiten Hälfte des 19. und der ersten des 20. Jahrhunderts, offensichtlich viel gelesen, immer wieder zur Hand genommen, mit Widmungen und Anmerkungen versehen. Bücher, die mit ihren Besitzern gelebt haben. Thomas und Heinrich Mann, Goethe, Lessing, Rilke, Buber und manche andere Autoren ließen sich entdecken. Daneben Dokumentationen über die Besitzer der Bücher: Ada Brodsky, 1924 in Frankfurt an der Oder geboren, gestorben 2011 in Jerusalem, und Avraham Frank, der 1923 in Flacht, einem kleinen Dorf in Hessen, das Licht der Welt erblickte und heute hochbetagt in Jerusalem lebt.

Beide flüchteten in den Dreißiger Jahren aus Deutschland ins damals Britisch verwaltete Palästina, Ada Brodsky zunächst ohne ihre Eltern, denen erst später die Ausreise gelang, Avraham zusammen mit Eltern und Geschwistern – und zusammen mit dem, was ihnen wie vielen anderen deutschen Juden besonders wichtig war: Literatur. Sie, für welche ihre nationale Identität als Deutsche nie in Frage gestanden hatte, lasen aus den älteren und modernen Klassikern der deutschen Literatur das “andere Deutschland” heraus, dem Wahren, Guten und Schönen verpflichtet und nicht der unsäglichen Barbarei und Unmenschlichkeit der damaligen Gegenwart: “Mein Vater war ein großer Goethe-Verehrer – wie eigentlich sehr viele Juden, die dem deutschen Bildungsbürgertum angehörten. Für ihn war Goethe der große Humanist, zu dem Deutschland wieder zurück finden muss, nachdem der Hitler-Spuk vorbei ist …” – so formulierte es Ada Brodsky viele Jahre nach ihrer Flucht.

Wie für viele andere überlebende und nach Israel emigrierte deutsche und deutschsprachige Juden stellten sich Brodsky und Frank in den vergangenen Jahren die Frage, was mit ihren deutschen Büchern – allein Frank besaß, ohne dass er sie gezählt hätte, vermutlich weit über 10.000 Bände – in Zukunft geschehen sollte. Die nachfolgenden Generationen sind in Israel geboren und sprechen in der Regel kein Deutsch mehr, Kontakte nach Deutschland sind aufgrund der geschichtlichen Ereignisse selten. Gleichzeitig sind viele Bücher angefüllt nicht nur mit Buchstaben und Geschichten, sondern gerade auch mit Erinnerungen, Hoffnungen und Träumen ihrer Besitzer – unmöglich, sie zu verkaufen oder wegzuwerfen. So reifte in vielen betagten Menschen der Wunsch, die eigenen Bücher als literarische Zeitzeugen weiterzu reichen an kommende Generationen, die beim Blättern in ihnen und dem Betrachten der Lebensgeschichte ihrer Besitzer deren Schicksal nachvollziehen und die deutsche jüdische Kultur vor 1933 kennenlernen – und dies nicht zuletzt vor dem aktuellen Hintergrund immer wieder aufflammender rassistischer und antisemitischer Umtriebe.

Diese Aufgabe des Weiterreichens übernimmt nun das deutsche Goethe-Institut in Jerusalem, indem es “keine leichten Pakete” packt und diese kostenlos interessierten deutschen Schulen, Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen zur Verfügung stellt.
Frank und Brodsky entschlossen sich, schon zu ihren Lebzeiten einen Großteil ihrer Bücher zur Verfügung zu stellen; jeweils fünf von ihnen fanden den Weg nach Radevormwald, wo sie im Rahmen eines Projekts zusammen mit den Lebensgeschichten und –umständen ihrer Besitzer erarbeitet und präsentiert wurden – nicht zuletzt auch, um die Schicksale vieler deutscher Juden im Nationalsozialismus nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Ganz besondere Bedeutung für Ada Brodsky hatte die Lyrik Rainer Maria Rilkes. Eines der Bücherpakete enthielt einen Gedichtband dieses Autors, erschienen 1930 im Insel-Verlag in Leipzig und von Brodsky nahezu zerlesen. Die Seite 255 hat sie mit einer bis heute dort befindlichen Büroklammer versehen, augenscheinlich, um sie rasch wiederzufinden. Das dort abgedruckte Gedicht mag ihr in ihrem nicht leichten Leben Halt und Trost gegeben haben:

Das ist die Sehnsucht: Wohnen im Gewoge
und keine Heimat haben in der Zeit.
Und das sind Wünsche: Leise Dialoge
täglicher Stunden mit der Ewigkeit.

Und das ist Leben. Bis aus einem Gestern
die Einsamste von allen Stunden steigt,
die, anders lächelnd als die andern Schwestern,
dem Ewigen entgegenschweigt.
(Rainer Maria Rilke, 1875 – 1926)

Weitere Informationen zum Goethe-Institut in Israel und zum Projekt „Keine leichten Pakete“ finden sich unter www.goethe.de/telaviv.